Von Alexander Holecek
Der Wagen, der Volker Lange und seiner Frau am Samstagabend in Hahnwald auf dem schmalen Radweg am Kirschbaumweg entgegen kommt, macht keine Anstalten zu bremsen. Der gerade einmal 1,50 Meter breite Weg ist eigentlich für Fahrzeuge gesperrt. Im letzten Moment springt der 60-Jährige von seinem Rad und wirft sich in die Brennnesseln am Straßenrand. Seine Frau 15 Meter hinter ihm rettet sich ins Gebüsch, der Wagen rast an den beiden vorbei. Das Paar bleibt unverletzt. Aber als Polizist, der diesen Monat offiziell in den Ruhestandtritt, hat der Polizeidirektor sich noch im Fallen das Kennzeichen gemerkt. Ersteht auf, schüttelt sich und wählt den Notruf. Ein paar Minuten später machen Streifenbeamte das verdächtige Auto ausfindig und halten den Fahrer an: Er hat zweieinhalb Promille und wird sofort aus dem Verkehr gezogen.
Abschalten kann Lange bis heute nicht. Das hat sich in seinen 43 Dienstjahren bei der Polizei, davon 40 in Köln, nie geändert. Und wie an den Vorfall in Hahnwald erinnert sich Lange an nahezu jeden seiner Einsätze in den vergangenen vier Jahrzehnten – mit all ihren Wendungen und Einzelheiten. An die 700 Betonmischer zum Beispiel, die im März 2010 die Einsturzstelle des Stadtarchivs stabilisieren sollten und an das Verkehrschaos, das Lange und seine Kollegen damals rund um den Waidmarkt einhegen mussten, damit die Rettungskräfte durchkamen. „Ich war 26 Stunden vor Ort und wir wussten, dass der Boden, auf dem wir standen, noch nicht sicher war. Dieses Erlebnis erschüttert mich auch heute noch“, sagt Lange.
Der Einsturz ist einer von 19 Einsätzen, über die der Polizeidirektor gemeinsam mit Co-Autor Tim Stinauer – Polizeireporter beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ im neuen Buch „Mittendrin – Ein Kölner Polizist erzählt“ berichtet. Schon vor ein paar Jahren war für Lange klar, sagt er, dass kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst all das Kuriose, Historische oder sonst in irgendeiner Weise Bemerkenswerte seiner Polizei-Karriere mal in einem Buch stehen soll. Ende September geht Lange in den Ruhestand.
Ein weiteres Kapitel dreht sich um einen Einsatz im Sommer 1995. Lange war damals SEK-Kommandoführer. Er evakuierte nach dem Zugriff Geiseln aus einem Stadtrundfahrtbus, der zuvor stundenlang von einem psychisch kranken Täter entführt worden war. Lange erinnert sich noch heute an das Kennzeichen des Busses – ebenso wie an die der Autos der Geiselnehmer von Gladbeck 1988, die während ihrer aberwitzigen Irrfahrt auch in Köln Station machten und die Lange als Hospitant beim Spezialeinsatzkommando am Rande miterlebt hat. „Ich habe ein phänomenales Gedächtnis“, sagt Lange, „sodass ich mir Dinge merken kann, als hätten sie sich bei mir wie ein Bildschirmschoner eingebrannt.“ In der Behörde, sagt Lange, nennen sie ihn „das Archiv“.
Mittendrin war Lange eigentlich immer am liebsten, wie er sagt. Zum Beispiel als Leiter der Polizeiinspektion Ehrenfeld, als der er elf Jahre lang auch für die Einsätze bei Fußballspielen im Rheinenergie-Stadion verantwortlich war. „Ich wollte nicht im Präsidium sitzen und in irgendeinem Stab Entscheidungen treffen, sondern mit vor Ort ein eigenes Bild machen, ohne Zeitverzug“, sagt er. „Wenn man selbst am Castor-Transport im Einsatz ist, spürt man, was „aua, Pipi kalt„ bedeutet. Wenn ich in der Teppichetage bin, bekomme ich doch nichts mit. Ich wollte lieber selbst die Nachrichten machen, als darüber berichten.“
Lange geht im Guten, sagt er. Er spüre trotz vieler schwerer Stunden in dem Job keinen Groll, keine Bitterkeit, sei aber froh, dass er immer sagen könne, was er wolle. „Ich musste ja nie wiedergewählt werden“, sagt er. Über den ebenso vornehmen wie leicht provinziellen Begriff des „Schutzmanns“ freut er sich – und nennt sich heute selbst noch so.